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Echt der Hammer!
von Vidar Jarlsson
Der Thorshammer ist eines der wichtigsten Symbole der nordischen Religion. Er ist das Zeichen unserer Göttertreue schlechthin. Als Anhänger wird er mit Stolz getragen, und kein Jahresfest wäre vollständig ohne die Hammerhegung, um den Platz zu weihen und den Ritualkreis zu ziehen. In diesem Artikel möchte ich mich mit der tieferen Bedeutung dieses Symbols auseinandersetzen.
Im Skaldskaparmal in der Snorri-Edda wird erzählt, wie der Hammer von den zwei Zwergen, Eitri (oder Sindri) und Brokk in einem Wettschmieden erschaffen wurde. Verursacher des Wettschmiedens war Loki. Er hatte Thors Frau Sif im Schlaf das goldene Haar abgeschnitten, wurde aber von Thor erwischt und versprach Thor, die Zwerge zu beauftragen, neues Haar für Sif zu machen. Die Zwerge schufen nicht nur das Haar, sondern auch den Speer Gungnir und das Schiff Skidbladnir. Später traf Loki den Zwerg Brokk, der behauptete, dass sein Bruder ebenso kostbare Dinge schmieden könne. Loki wettete seinen Kopf dagegen. Die Zwergenbrüder gingen an die Arbeit und schmiedeten drei Dinge: einen Eber mit goldenen Borsten, den goldenen Ring Draupnir und schliesslich den Hammer Mjölnir (manchmal als eine Axt beschrieben). Während der Arbeit wurde Eitri, der den Blasenbalg bediente, von einer großen Fliege gepeinigt und von der Arbeit derartig abgelenkt, dass der Stiel des Hammers etwas zu kurz ausfiel. Trotzdem schenkte Brokk Thor Mjölnir und erklärte ihm, dass der Hammer keinen Schaden nehmen könne und immer in Thors Hand zurückkehren werde, wenn er geworfen würde. In dieser Geschichte liegt eine wichtige Botschaft: nur durch Opfer und Strapazen kann mann einen echten magischen Gegenstand erschaffen.
Wir können sieben wesentliche Funktionen des Thorhammers erkennen.
(1) Als Waffe. Der Hammer wird zum Beispiel von Thor in seinem Kampf gegen die Midgardschlange benutzt.
(2) Als Donnerkeil. In dieser Funktion ist er vergleichbar mit dem Donnerkeil von Jupiter oder mit dem vajra im Hinduismus und Buddhismus. Wie Joseph Campbell schreibt: „Das Wort vajra im Sanskrit bedeutet sowohl ‚Donner’ als auch ‚Diamant’. Genau wie es keinen anderen Stein gibt, der den Diamant schneiden kann, so weichen alle Dinge vor dem Donnerkeil ... Der buddhistischer Mystiker ... kann die Vajra-Kraft in sich selbst verwirklichen und diese Kraft entweder für Zauberei oder zur höchsten Erleuchtung verwenden.“1
(3) Als Schutzgegenstand. Der Hammer wurde häufig als Amulett getragen oder als Schutz gegen das Böse über der Haustür dargestellt.
(4) Als religiöser Gegenstand. Wie R.L.M. Derolez schreibt: „In der spätheidnischen Zeit erscheint Thors Hammer deutlich als ein religiöses Symbol. Er wurde auf Runensteinen dargestellt und als Amulett getragen. Hierin dürfen wir eine bewusste Reaktion gegen das Christentum sehen. Wie die Christen ein Kreuz als Symbol ihres Glaubens an ihren Erlöser trugen, so erhoben die Verteidiger der germanischen Religion das Attribut des Gottes, der ihre Welt beschützte, zum Zeichen ihres Widerstandes.“2
(5) Als Weihegegenstand. Diese Funktion geht aus der Geschichte hervor, die im vierundvierzigsten Kapitel des Gylfaginning erzählt wird.
„Sie (Thor und Loki) kamen des Abends zu einem Bauern und erhielten Nachtquartier von ihm. Vor dem Nachtessen packte Thor seine Böcke und schlachtete sie beide. Dann wurden sie enthäutet und für den Kessel zurechtgemacht. Und als sie gar gekocht waren, da setzte sich Thor mit seinem Gefährten zum Essen. Er lud den Bauern mit Frau und Kindern dazu ein; der Sohn des Bauern hieß Thjalfi, die Tochter Röskva. Da legte Thor die Bocksfelle vor dem Feuer auf den Boden und sagte, der Bauer und die Seinen sollten die Knochen auf die Felle werfen. Thjalfi, der Bauernsohn, fasste den Schenkelknochen des Bocks, spaltete ihn auf seinem Messer und brach ihn auseinander, um zu dem Mark zu gelangen. Thor übernachtete dort. Im Morgengrauen, vor Tage, stand er auf, kleidete sich an, nahm den Hammer Mjölnir, erhob ihn und weihte die Bocksfelle. Da standen die Böcke auf. Der eine aber lahmte am Hinterfuß.“
(6) Als Symbol der männlichen generativen Kraft. Das lässt sich ganz deutlich an manchen Thorstatuen erkennen, bei denen der Hammer in Form eines Penis mit Hoden dargestellt wird. Sowohl die fünfte als auch die sechste Funktion finden wir in Kombination mit bestimmten Hochzeitsbräuchen. Es gab einen häufigen Brauch unter den skandinavischen Völkern, bei Hochzeiten das Hammerzeichen über das Brautpaar zu schlagen um Fruchtbarkeit zu bringen und böse Kräfte fernzuhalten. Eines der ältesten Beispiele dafür ist eine der schätzungsweise 3000 Jahre alten Felszeichnungen von Tanum in Schweden (siehe Abbildung). Hier wird eine Hochzeitsszene dargestellt, auf der das Brautpaar vor einem riesigen Mann mit großem Phallus steht, der einen Hammer (oder möglicherweise eine Axt) über das Paar hält.3 Diese Szene erinnert uns an eine bekannte Stelle in der Thrymskvida:
Da sagte Thrym,
der Thursen König:
„Bringt den Hammer,
die Braut zu weihn!
Leget Mjöllnir
der Maid in den Schoß!
Mit der Hand der War
weiht uns zusammen!“4
Diese Funktion des Hammers wurde im Volksbrauchtum bis ins 20. Jahrhundert hinein fortgesetzt. In Schweden zum Beispiel bei einer Hochzeitsfest war es bis in die 20er Jahre hinein üblich, dass bei einem Hochzeitsfest ein Hammer in den Schoß der Braut gelegt wurde. Dieser Brauch wird jetzt von der Asatru-Bewegung in Schweden wiederbelebt.
(7) Als Symbol der Autorität und der Justiz. Diese Angelegenheiten sind sowohl Thor als auch seinem römischen Äquivalent Jupiter zugeordnet. Beim Thing in Island wurden Eide im Namen Thors geschworen, und es ist kein Zufall, dass bis heute der Hammer bei Gerichtsverfahren, Auktionen und Debatten vom Vorsitzenden benutzt wird um für Ordnung zu sorgen.
Der Thorshammer ist also ein vielseitiges Symbol, das für Anhänger der nordischen Religion eine besondere Bedeutung hat, das uns aber auch mit anderen Kulturen und Religionen verbindet.
Joseph Campbell, The Masks of God Volume III, Occidental Mythology (London: Secker and Warburg, 1964), S. 263.
R.L.M. Derolez, Götter und Mythen der Germanen (Wiesbaden: VMA-Verlag, 1959), S. 126.
Siehe Oscar Almgren, Nordische Felszeichnungen als religiöse Urkunden (Frankfurt am Main: Verlag Moritz Diesterweg, 1934), S. 118-119.
Die Edda, Band II Götterdichtung, übertragen von Felix Genzmer (Düsseldorf-Köln: Eugen Diederichs Verlag, 1963), S. 15.
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